Vom Rollband bis ins Flugzeug
Das Reisegepäck in guten Händen
Am Airport Nürnberg sorgen Georgios Antoniadis und Kollegen dafür, dass in den Herbstferien tausende Koffer auf Reisen gehen
Georgios Antoniadis ist Frühaufsteher. Das muss er auch sein, denn George, wie ihn seine Kolleginnen und Kollegen nennen, leitet die Frühschicht im Bereich RSB Baggage Services am Airport Nürnberg. Wenn morgens die Flugzeuge von KLM, Air France, Lufthansa oder Turkish Airlines zu den großen Drehkreuzen Europas starten und Ryanair oder Corendon Urlauber in die Herbstferien schicken, sorgen George und sein Team dafür, dass das Gepäck rechtzeitig und zuverlässig an Bord kommt. Eine Aufgabe, die eine ausgeklügelte Technik, Organisationstalent und vor allem viel körperlichen Einsatz verlangt.
Georges Wecker klingelt um 3:50 Uhr früh. Mit seinem Golf 8 fährt er die Strecke von Röthenbach a.d. Pegnitz bis zum Airport in gut zwanzig Minuten. Beim Passieren des Mitarbeiterzugangs muss er wie auch Pilotinnen und Piloten, Büroangestellte und Reinigungskräfte durch eine Torsonde gehen und seine Tasche durchleuchten lassen, denn sein Arbeitsplatz liegt im Sicherheitsbereich des Flughafens. Dort ist George für die beiden sogenannten Gepäcklobbys zuständig, das sind die Hallen, in denen Koffer, Taschen und Rücksäcke der Passagiere ankommen, nachdem sie an den Check In-Schaltern aufgegeben und nun für den Weitertransport zum Flieger vorbereitet werden.
In den Ferien packen alle mit an
Zum Schichtbeginn um 5 Uhr steht zunächst die Übergabe an: Im Leitstand, die Schaltzentrale und das Herz der Gepäcksortierung, bespricht sich George mit den Kollegen aus der Nachtschicht und studiert den Flugplan. „Daran kann man schon ablesen, was auf uns zukommt“, weiß George. Gerade in der Urlaubssaison, wie jetzt in den Herbstferien, steigt das Aufkommen an. Geschäftsreiseflüge bedeuten meistens wenig und kleineres Gepäck, während bei Urlaubsjets die Koffer auch mal dreißig Kilo und mehr auf die Waage bringen. Erst wenn er sich mit seinem Team, das je nach Saison auf 20 Mitarbeitende anwachsen kann, abgestimmt und die Aufgaben verteilt hat, gönnt George sich seinen ersten Kaffee. Dazu je nach Appetit „etwas Gesundes oder ein Leberkäs-Weggla“.
George gefällt seine Arbeit – und das seit langer Zeit. Schon 1999 hat der heute 40-Jährige am Airport Nürnberg angefangen. „Gleich nach dem Abi habe ich mich beworben“, erzählt er und fügt schmunzelnd hinzu: „Als Kind wollte ich Pilot werden.“ Beim Flughafen durchlief er sämtliche Stationen des Bodenverkehrsdienstes, sprich: alles, was mit der Abfertigung eines Flugzeuges zu tun hat, darunter das Reinigen, Be- und Entladen. Nach bestandener IHK-Prüfung legte er sich auf den Bereich RSB Baggage Services, die Gepäcksortierung, fest und hat es seitdem keinen Tag bereut: „Die Arbeit hier ist ungeheuer vielfältig und abwechslungsreich, kein Tag ist wie der andere.“ Das liegt an der sehr unterschiedlichen Auslastung, außerdem ist – trotz aller modernen Technik und Automatisierung – immer wieder der Mensch gefragt: etwa wenn es darum geht, einen Koffer zuzuordnen, der sein Gepäcklabel verloren hat.
Der Weg des Koffers
Der Weg des Koffers beginnt in den Abflughallen, wo das Reisegepäck aufgegeben, mit Strichcode und Kennung des Zielflughafens versehen wird, um dann auf dem Förderband hinter schwarzen Kunststofflamellen zu verschwinden. „Die Passagiere setzen ein großes Vertrauen in uns“, ist sich George bewusst. „Sie verlassen sich darauf, dass ihre Sachen unbeschadet und pünktlich am Ziel ankommen.“ Auf dem Band durchläuft jedes Gepäckstück mehrere Stationen, wird zunächst geröntgt und über verschiedene Zweigstellen in eine der beiden Gepäcklobbys gelotst. Dort gleiten die Koffer und Taschen an Scannern vorbei, die je nach Strichcode einen Pusher auslösen. Dieser stößt das Gepäck auf eine von mehreren Rutschen, an deren Ende bereits ein Gepäckwagen darauf wartet, beladen zu werden. „Dieses System ist sehr zuverlässig“, sagt George. „Trotzdem werden die Gepäcklabel zusätzlich von uns per Handscanner gelesen, damit auch wirklich jedes Gepäckstück in dem Flugzeug landet, für das es bestimmt ist.“
Das Verladen der Koffer vom Band in den Gepäckwagen und später ins Flugzeug ist nach wie vor Handarbeit. Zwar gibt es Hilfsmittel wie Förderbänder, die bis in den Bauch des Flugzeugs führen. Trotzdem muss jedes Stück angefasst und bewegt werden. Wenn viel los ist, packt auch Schichtleiter George selbst mit zu. „Das ersetzt das Fitnessstudio“, meint er schmunzelnd.
Wenn Christbäume auf Reisen gehen
Von Freunden wird er oft gefragt, was denn die ungewöhnlichsten Gepäckstücke wären, die ihm bisher untergekommen sind. Dann erzählt George vom Weihnachtsbaum, den eine Reisende mit auf die Kanaren nahm. Oder von einem Bierkasten. „Der Fluggast hatte sich echte Mühe gegeben und in einen Holzdeckel Löcher gefräst, um die Flaschen damit zu sichern.“ Solche ungewöhnlichen Reisebegleiter können dann aber nicht am Check In-Counter aufgegeben werden, sondern beim Sperrgepäckschalter, wo auch Fahrräder, Golftaschen oder große Musikinstrumente angenommen werden.
Immer wieder gibt es neue Trends, mit denen Passagiere ihr Gepäck sichern möchten. Nicht über jede Idee freuen sich George und sein Team: „Wenn Koffer und Taschen ganz in Folie eingewickelt sind, kann sich die Folie während des Transports auf den Förderbändern verfangen und einen Stau verursachen.“ Auch Koffergurte werden immer mal wieder zur Herausforderung, wenn sie sich öffnen und auf dem Laufband verhaken. „Am besten ist es, wenn die Koffer selbst stabil sind und gut schließen.“ Aber wenn doch mal einer aufgeht? „Das kommt vor“, sagt George. „Wir versuchen dann, ihn wieder zu schließen und zu sichern, was meistens gelingt. Wenn nicht, wird der Fluggast ausgerufen.“
Nicht jedes Gepäckstück landet in einem Gitterwagen und wird einzeln in einem Flugzeugbauch verstaut. Je nach Flugzeugtyp kommen auch Container zum Einsatz, die bereits in der Lobby befüllt und anschließend per Hubwagen in den Flugzeugrumpf geschoben werden. Der Vorteil der Container liegt auf der Hand: „Die Koffer müssen nicht noch einmal am Flugzeug angefasst werden“, erklärt George. Nachteil: Muss ein Gepäckstück nach dem Verladen wieder herausgenommen werden, etwa weil ein Passagier nicht an Bord gegangen ist, gestaltet sich die Suche bei einzeln verladenen Stücken einfacher.
Hohe Zuverlässigkeit
Die Zuverlässigkeitsquote beim Gepäcktransport ist hoch, selbst wenn hinter den Kulissen mal nicht alles so läuft wie es sollte. „Einmal ist mitten in der Hochphase ein Band gerissen“, erinnert sich George. Binnen kürzester Zeit seien die Kollegen aus der Werkstatt vor Ort gewesen und hätten das Problem gelöst. Auch wenn es nach dem Wiederhochfahren des Betriebs nach der Pandemie anfangs noch hakte und es an Pfingsten zu Verzögerungen bei der Gepäckverladung kam, läuft das System inzwischen wieder rund. Auch dank der vielen neuen Kolleginnen und Kollegen, die seitdem neu eingestellt worden sind.
Spätestens um 14 Uhr hört Georges Schicht auf. Das Ende eines langen Tages. Nach dem Mittagessen legt er sich zuhause meistens eine Stunde hin und ruht sich aus. Dann beginnt sein Privatleben. Auch da lässt ihn die Faszination Luftfahrt nicht los: George ist begeisterter Pilot am Microsoft Flugsimulator. Oder er steigt als Passagier in ein echtes Flugzeug, um zum Kitesurfen nach Griechenland oder Südamerika zu fliegen – natürlich vom Airport Nürnberg aus.
Ergänzende Fakten
- Die Technik: zwei Gepäcksortierungsanlagen mit knapp einem Kilometer Förderbändern, über 300 Antriebsmotoren sowie über 400 Lichtschranken
- Das Volumen: mehr als 600.000 Gepäckstücke allein in den letzten Sommerferien, also über 13.000 pro Tag
- Die Kolleginnen und Kollegen: 50 Festangestellte plus 30 Saisonkräfte aus acht Nationen arbeiten im 24-Stunden-Betrieb in der Gepäcksortierung